TEXTILMATERIALIEN DER ZUKUNFT - EIN BEITRAG ZU MEHR NACHHALTIGKEIT?

Innovationen, Fiktionen und Chancen

120 Milliarden produzierte Kleidungsstücke pro Jahr - eine atemberaubende Zahl, was einer 70.000.000 km langen Wäscheleine entspricht, welche die Erde 1750-mal umschlingen würde. Kann eine nachhaltige Zukunft eine Chance haben angesichts unseres rasanten Konsums und des unersättlichen Ressourcenverbrauchs? Die Suche nach Antworten führt zu innovativen, „verantwortungsvollen“ Materialien. Ob „zurück zur Natur“, Textilien für den Kompost, klimaneutrales „Bio“-Plastik, Rohstoffe aus der Retorte oder Faserrecycling als perpetuum mobile:  Laut zahlreicher Branchenversprechen scheint die textile Zukunft nachhaltig und klimaneutral gesichert zu sein. An Ideen zu zukünftigen Textilmaterialien mangelt es nicht auf dem Markt - echte Innovationen sind jedoch rar.

Referent: Kai Nebel

Hochschule Reutlingen 

Leiter Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit & Recycling

mehr zu Kai Nebel

Studium der Textilchemie / Textilveredlung

Seit über 30 Jahren in der Forschung (Textile Verfahrenstechnik, Produktentwicklung, Nachwachsende Rohstoffe)

Nachhaltigkeitsbeauftragter und Leiter des Forschungsschwerpunktes Nachhaltigkeit und Recycling am Texoversum der HS Reutlingen

Dozent an der HS-Reutlingen, der HS Albstadt-Sigmaringen und der Knowledge Foundation Reutlingen University

Vorstand im Verband Deutscher Textilfachleute (VDTF-RG Süd)

Der Ressourcenverbrauch in unserer Industrie- und Konsumgesellschaft steigt rasant, wobei die zur Verfügung stehenden Rohstoffe gleichzeitig knapper werden. In der Textil- und Modebranche ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ schon zur Mode geworden. Nahezu alle Unternehmen und Akteure schreiben sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen, ob in konkreten Maßnahmen oder als Marketingkampagne. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich leider viele Aktionen als sogenanntes „greenwashing“, wenn es um Ökologie, Ressourcenschonung oder Recycling geht.

 

Viele angebliche stark beworbene Innovationen, wie biologisch abbaubare T-Shirts (ob aus Holz, Orangenschalen oder Algen…) sind genauer betrachtet ein alter Hut. Auch Recyclingprodukte werden zunehmend als heilsbringend angepriesen, diese halten in puncto Ökologie jedoch längst nicht das, was sie versprechen.

 

Eine Transformation der Textilwirtschaft, in Richtung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ist jedoch komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Neue, innovative Materialien, sowie optimierte Produktionsprozesse können zukünftig durchaus zu mehr Nachhaltigkeit beitragen, vorausgesetzt sie werden anwendungsbezogen eingesetzt und vor allem nachhaltig genutzt. Die schönste Materialinnovation nützt nichts, wenn dadurch der Konsum und somit der Ressourcenverbrauch weiter ansteigt. 

 


Einführung in textile Materialien

In erster Linie bestehen Textilien aus Fasern, auch Polymere genannt. Es wird unterschieden in natürliche Polymere, wie Baumwolle oder Wolle und in synthetische Polymere, aus fossilen oder natürlichen Rohstoffen.

 

Rohstoffe für synthetische Polymere:

Abiotische, d.h. nicht erneuerbare oder fossile Rohstoffe, wie Erdöl, Erdgas, Kohle aus denen PES, PA usw. hergestellt werden, mit ihren erstklassigen technologischen Eigenschaften vielseitig einsetzbar. Abiotische Rohstoffe haben enorm gutes Recycling- und Innovationspotential.

Ziel ist jedoch die Abkehr von fossilen Rohstoffen, unter anderem zur Ressourcenschonung und zur Vermeidung von Mikroplastik.

 

Zu den biotischen, d.h. nachwachsenden Rohstoffe zählt:

Cellulose à Viskose und Lyocell, Cellulose Acetat,

Stärke- bzw. Zucker à Thermoplastische Stärke (TPS), Polymilchsäure bzw. Polylactid (PLA)

Pflanzenöle  à Biopolyamide (Bio-PA), Biopolyurethane (Bio-PU).

Proteine à Kasein, Gelatine, Keratin

Sonstige, wie Chitin (Polysaccharid) aus Pilzen und Krabbenschalen oder Mikroorganismen - Polyhydroxyalkanoate (PHA) aus Bakterien.

 

Aber was sind Bio-Polymere? Hier ein Überblick zu Synthetischen (Bio-)Polymeren

Innovationen?! GUte Beispiele, Aber....

Unter den natürlichen Polymeren aus Cellulose tummeln sich immer wieder neue „alte“ Naturfasern wie Hanf, Leinen, Brennnessel sowie manch neues exotisches Materialien aus Banane oder Ananas, etc..

Aber: Diese sind meist Nischenprodukte, für die es teils noch keine industrielle Infrastruktur gibt oder mit veralteten Techniken arbeiten.

Noch ungenutztes Innovationspotential und Nachhaltigkeitspotential steckt im Faseraufschluss, Land / Flächenbedarf / Energieaufwand sowie Fasereigenschaften / in Bezug auf Performance und Sinnhaftigkeit von Produkten.

 

Unter den synthetischen Polymeren aus Cellulose zeichnet sich ein Megatrend der „neuen Naturfasern ab. Es gibt eine Vielzahl von neuen Produkten, beziehungsweise Marken, wie Seacell®, Ioncell®, Saxcell®, HighPerCell, Spinova…, Orangefiber, Baumfasern, Algenfasern etc…., was im Grunde alles Viskosetypen (regenerative Cellulose) sind und mit verschiedenen Lösemittel oder Verfahren gewonnen werden.
Aber: Eine Schwäche dieser Polymere stellt die Ressourceneffektivität und das verwirrende Marketing dar.

In Punkto Nachhaltigkeit haben diese Polymere jedoch ein gutes Potenzial!

 

Natürliche Polymere aus Proteinen, wie Tier- oder Menschenhaare sind nur begrenzt nachhaltige Alternativen, wenn vielleicht ganz innovativ.

Aber:  Nische, Regionalität, Infrastruktur, Markt (vegan…) setzen bei diesen Materialien die Grenzen.

 

Ähnliches gilt auch für die synthetischen Polymere aus Proteinen wie künstliche Spinnenseide, Kaseinfasern oder Kollagen mit leider einer geringen Ressourceneffektivität.

Innovationspotential steckt in der (Bio)-Technologie.

 

Viele spannenden technologische Entwicklungen lassen sich im Bereich bioabbaubare Polymere wie Polyester, PTT, PLA, Kautschuk, Pilzmycel (und viele mehr) beobachten.

Aber: Nachhaltig sind diese bioabbaubaren Polymeren jedoch bislang noch nicht, Schuld daran ist hier unter anderem der hohe Energie- und Ressourcenaufwand. Zu hinterfragen sind hier die Aspekte Verfügbarkeit, Performance, Preis, Infrastruktur und Flächen.

 

Ist damit Recyclingmaterial die ultimative Lösung?

Leider auch nicht. Hier fehlt vor allem die nötige Infrastruktur und der damit verbunden hohe Energieaufwand beim chemischen oder thermischen Recyceln stellt ein weiteres Problem dar.

 

Ressourcenverbrauch – Input- und Output-Faktoren

Die Erzeugung von Textilien, dessen Nutzung und Entsorgung stehen mit einem hohen Ressourcenverbrauch in Verbindung. So auch viele Prozessschritte die im „Hintergrund“ passieren, wie beispielsweise der Transport, Logistik, Verpackung oder Sortierung von Textilien.

 

Der Ressourcenverbrauch lässt sich in Input und Output Faktoren unterteilen. Auf einer Seite stehen die Input Faktoren wie Land, Wasser, Energie, Luft oder auch Arbeitskraft und auf der Output Seite stehen Emissionen (Stäube, Wärme, CO2) oder auch Abwasser.

 

„Jährlich werden über 120 Mrd. Kleidungsstücke und 24 Mrd. Paar Schuhe produziert davon wird 1/3 gar nicht verkauft oder nicht benutzt. Die Textil- & Bekleidungsindustrie verursacht ca. 2,1 Milliarden Tonnen „Abfall“ und ca. 10% der weltweiten CO2 Emissionen in D werden jährlich ca. 2.000.000 Tonnen Textilien verkauft, circa 28 kg / Person. Ca. 1,5 Mio. Tonnen (Bekleidungs-)Textilien werden in Deutschland jährlich entsorgt“ (Kai Nebel)

 

Beispielhafter Ressourcenverbrauch* für ein bestimmtes T-Shirt

[Quelle: Wuppertal Institut und eigene Berechnung von Kai Nebel]

Fazit von Kai Nebel

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Materialien zunächst eine untergeordnete Rolle beim Thema Nachhaltigkeit spielen. Die wesentliche Frage ist, für welchen Einsatzzweck und für wie lange die Textilien genutzt werden. Auch das hoch angepriesene Recyclingmaterial trägt leider kaum zur Nachhaltigkeit von Textilmaterialien bei, denn diese Material-Alternative steht im wahrsten Sinne des Wortes „am Ende der Kette".

Was ist nun das Material der Zukunft? Was trägt ernsthaft zu Nachhaltigkeit bei?

Nein, es ist nicht das Recyclingmaterial, grundsätzlich ist nicht das Material selbst der Nachhaltigkeitsverbesserer, sondern die Wahl für anwendungsgemäße Materialien und Produkte aus sauberer und ressourcenschonender Produktion sind ein Schlüssel.

 

Das setzt eine Reduktion des Konsums und der Produktion voraus, womit eine Verhaltensänderung, ein Umdenken und mehr Wertschätzung beim Konsumenten und der Industrie erforderlich ist. In einer lange Nutzungsdauer und damit verbunden die richtige Pflege der Kleidung steckt die Chance auf mehr Nachhaltigkeit.