Zurück zu den Wurzeln:

Auf den Spuren ganzheitlicher nachhaltigkeit in ägypten

Quelle: it fits

Im vergangenen Oktober reiste Katharina Schaus mit dem IVN nach Ägypten, um das legendäre SEKEM-Projekt nach 30 Jahren erneut zu erleben. Dieses Vorzeigeprojekt für ökologische Landwirtschaft und soziale Verantwortung beeindruckt mit seinen Visionen und seiner Wirkung auf das Leben vor Ort. Von der pulsierenden Metropole Kairo über weite Baumwollfelder bis hin zur Wüstenoase Wahat, dem Herzen des „Greening the Desert“-Projekts, eröffnete die Reise eindrucksvolle Einblicke in das ganzheitliche Nachhaltigkeitsmodell der SEKEM-Farm. Für Katharina Schaus war es mehr als eine Entdeckungsreise: Es war eine emotionale Rückkehr an den Ort, an dem sie die Weichen für ihren beruflichen Werdegang gestellt hat. Genau hier entschied sie während ihres Studiums, Nachhaltigkeit ins Zentrum ihrer Arbeit zu stellen – ein Plan, der damals visionär und innovativ war.

 

 


SEKEM: Eine Vision, die die Wüste erblühen ließ

Es gibt Orte, die mehr sind als bloße Projekte – sie sind lebendige Beweise dafür, wie nachhaltiges Wirtschaften zum Erfolg führt. SEKEM, gegründet 1977 von Dr. Ibrahim Abouleish, ist ein solcher Ort ein solches Erfolgsmodell. Was einst mit einem Brunnen in der unberührten ägyptischen Wüste begann, hat sich in über 40 Jahren zu einem weltweit anerkannten Konzept für ganzheitliche Nachhaltigkeit und einem führendem Sozialunternehmen entwickelt. SEKEM verbindet ökologische Landwirtschaft, soziale Verantwortung und kulturelle Entwicklung in einer Weise, die bis heute Menschen und Gemeinschaften inspiriert und seines gleichen sucht.

 

Mit biologisch-dynamischer Landwirtschaft verwandelte Ibrahim Abouleish den Wüstenboden in fruchtbares Land und schuf Unternehmen, die die Erzeugnisse weiterverarbeiteten. Im Laufe der Jahre entstanden weitere Firmen sowie Bildungseinrichtungen, in denen stets der Mensch im Mittelpunkt steht und inzwischen bereits die dritte Generation der Familie am Wirken ist.

Organisationsstruktur SEKEM, Bildquelle: SEKEM

Katharina Schaus, die 1993 während ihres Studiums bereits die SEKEM-Farm besuchte und dort Ibrahim Abouleish persönlich kennenlernte, konnte im Oktober 2024 die Weiterentwicklung der Initiative erkunden. Ihre Reise war eine Rückkehr zu den Wurzeln ihres Engagements für nachhaltige Textilien. Damals inspirierte SEKEM sie, Nachhaltigkeit in den Fokus ihrer beruflichen Laufbahn zu rücken – eine Mission, die sie bis heute antreibt und der sie bei allen Höhen und Tiefen immer treu geblieben ist. Nach über 30 Jahren konnte sie nun erleben, wie sich SEKEM weiterentwickelt und seine ursprünglichen Ideen nicht nur bewahrt, sondern ausgebaut hat. Nach langer Zeit auch wieder Helmy und Konstanze Abouleish zu begegnen, die das Unternehmen inzwischen führen, war absolut ein Highlight dieser Reise. Von dem beeindruckenden Engagement dieser Familie und den Aktivitäten der SEKEM-Group zu berichten, könnte ein dickes Buch füllen. Hier ein Versuch, ein paar Aspekte dieses unvergleichbaren Nachhaltigkeitskonzepts zusammenzufassen und ein paar Eindrücke aus unserer Delegationsreise. 

 

SEKEM hat sich weit über die ursprüngliche Farm hinaus entwickelt. Die Initiative bewirtschaftet mittlerweile 75 ha Wüstenland, die mithilfe biodynamischer Methoden urbar gemacht wurden. SEKEM verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz par excelence. Diese Modellhöfe sind Beweise dafür, dass nachhaltige Landwirtschaft eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist – von Bodenfruchtbarkeit über Ernährungssicherheit, Diversität, Kultur, Wirtschaftlichkeit mit Liebe zum Detail bis hin zur Förderung lokaler Gemeinschaften. Auf der Farm findet die Bevölkerung aus den 13 umliegenden Dörfern nicht nur Arbeit, sondern auch Bildungs- und Gesundheitsangebote.

 

Die Farm beeindruckt besonders durch ihre Vielfalt: 

Ein sehr eindrucksvoller Baustein ist die Kompostproduktion, hier entsteht das „braune Gold“, die Grundlage des gesamten Konzepts. Um die organische Masse in leeren Wüstenböden aufzubauen, verwendet SEKEM Kompost, den sie im eigenen Betrieb herstellen. Hier werden Bioabfälle in einem ausgeklügelten Prozess in wertvollen Humus umgewandelt. Damit sichert sich SEKEM den wachsenden Bedarf an reinem und biodynamischem Rohmaterial.

SEKEM heute: Ein einzigartiges Modell für nachhaltige Entwicklung

 

In SEKEMs Demeter-basierten Verständnis von Betriebs- und Viehwirtschaft werden Tiere nicht nur artgerecht, sondern auch im Einklang mit den physikalischen Anforderungen ihrer natürlichen Entwicklung aufgezogen. Gehalten werden Rinder, Schafe, Bienen und Tauben. Das Vieh lebt ungebunden in einem freien Raum, der von einem schattigen Dach bedeckt ist. Ihre Ernährung besteht aus Maissilage, Klee, Stroh, Futterrüben, Mais, Soja, Baumwollsamen und Weizenkleie. Die durchschnittliche tägliche Milchleistung pro Kuh beträgt etwa 23 Liter. Die Nahrung für Schafe besteht aus Klee. Sie weiden regelmäßig und produzieren rund 1000 kg Wolle. Die beiden anderen Tierarten, die auf der Hauptfarm und in Adleya gehalten werden, befinden sich am Himmel: Bienen für Honig und Tauben für Fleisch. Neben Kuh- und Taubenfleisch sowie Milch, Wolle und Honig ist das wichtigste Produkt der Dung der Kühe, der Schafe und der Tauben. Dieser wird direkt für die Kompostproduktion bei Libra Manure verwendet und dort mit Grünabfällen gemischt. 

 

Dadurch, dass SEKEM und die umliegenden Betriebe im Gegensatz zu konventionellen Abfallverwertungsverfahren Grünabfälle zu Kompost verarbeiten, werden die Treibhausgasemissionen deutlich gesenkt. Das heißt, SEKEMs Kompostierungsmethode hat nicht nur die Bodenqualität verbessert, sondern auch messbare Umwelteffekte erzielt.

 

Bereits im Jahr 2011 erteilte die TÜV-Zertifizierungsstelle einen Gesamtbetrag von 79.500 VERs (Verified Emissions Reductions) für SEKEMs methanvermeidende Kompostierungsmethode. Eine Gutschrift (= ein VER) kompensiert eine Tonne CO2-Emissionen. SEKEM handelt dann diese empfangenen Kohlenstoffgutschriften international.

 

Auch im Bereich erneuerbare Energien ist SEKEM aktiv: wie zum Beispiel eine kleine Photovoltaik-Station am Hauptsitz, mehrere Hybrid-Solar-Trockner für die Kräuterproduktion, Sheffler-Spiegel zur Dampfproduktion für die Produktionsprozesse auf der Hauptfarm sowie mehrere Solar-Warmwasserbereiter auf dem Dach der Produktionsstätten. Auch diese Maßnahmen tragen dazu bei, den Energieverbrauch zu senken und Emissionen zu reduzieren.

 

Zum sozialen Engagement von SEKEM gehört soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und die individuelle Entwicklung durch vielfältige Initiativen. Die SEKEM-Mitarbeiterkooperative (CSE) unterstützt mit Projekten wie einer betrieblichen Apotheke, einer Bibliothek, gesunden Mahlzeiten und Mitarbeitenden-Transport. Frauen profitieren von Mikrokrediten, Bildungsprogrammen, Kinderbetreuung und der Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten. Über 30 Menschen mit Behinderungen sind durch ein spezialisiertes Ausbildungsprogramm integriert, das sie schrittweise an reguläre Arbeitsaufgaben heranführt. SEKEM setzt auf internationale Standards wie die OHSAS 18001-Zertifizierung für Gesundheits- und Sicherheitsmanagement und unterstützt die Gleichstellung der Geschlechter durch Sensibilisierungsprogramme, Schulungen und den Austausch an der Heliopolis-Universität. Für diese Bemühungen erhielt SEKEM von der Weltbank und UN Women das “Equal Opportunity Seal”.

 

Mit Enthusiasmus und Herzblut lassen Helmy und Konstanze ihren Visionen freien Lauf und werden uns auch künftig mit vielen Innovationen überraschen. Zurzeit stehen die Themen Kreislaufwirtschaft, Pflanzenfärbung, Recyclingfähigkeit der Produkte, neue Wüstenabschnitte fruchtbar machen, der Bau von weiteren Schulen auf ihrer Agenda.

Stationen unserer Studienreise mit dem IVN

1.   Rundgang durch das Eco-Village in Bilbeis

Gleich am ersten Tag unseres Besuches tauchten wir tief in die vielfältige SEKEM-Welt am Standort Bilbeis (ca. 50 km vom Stadtrand Kairo entfernt) ein. Wir erkundeten die Humusproduktion, die Rinderzucht, Gewächshäuser von Atos Pharma zur Pflanzenaufzucht, Kindergärten, Schulen, Ausbildungswerkstätten und das Medical Center, wo gerade in Zusammenarbeit mit der Heliopolos Universität eine neue Krankenstation und OP-Räume entstehen. Mit Staunen beobachteten wir die erst einen Tag alten Kälbchen, ein bezaubernder Anblick. Daneben die Bienenstöcke und Taubenhäuser. Beim Spaziergang, vorbei am imposanten Amphitheater, das auch ohne laufende Aufführung eine lebendige Atmosphäre ausstrahlte, erreichten wir das Mausoleum von Ibrahim Abouleish – ein Ort von meditativer Stille und spiritueller Kraft. Auf dem Farm-Gelände hat auch eine beeindruckend große Schildkröte ihr eigenes ungestörtes Reich.

 

IVN- Mitglieder auf Rundgang durch das ECO-Village in Bilbeis, Quelle: it fits

 Sehr interessant war der Blick in die Strickgarn-Produktion, wo melierte Wollknäul entstanden. In der Textilmanufaktur NatureTex sahen wir zu, wie mit Hingabe Stoffpuppen und Sweatshirts genäht wurden. In der Schlosserei und Schreinerei entstanden Möbel für die Schulen und die Kantine – handgefertigte Stücke voller Charakter aus Eukalyptus-Holz. Bei Isis Organic wird Tee produziert, allerdings war zum Zeitpunkt unseres Besuches ein mehrtägiges ISO-Audit in vollem Gange, womit wir leider keinen Zutritt in die Produktion hatten, um die Auditabläufe nicht zu stören. Beim Spaziergang über das Gelände sind hinter Palmen immer wieder schöne Wohnanlagen und liebevoll angelegte Gärten zu entdecken. 

 

Das Gästehaus, erbaut nach anthroposophischen Grundsätzen im Jahr 2005, bot uns eine herzliche Unterkunft, die eigens für Freunde und Interessierte von SEKEM geschaffen wurde. So fühlten uns wir uns dort wahrlich unter Freunden.

 

„Ich hatte nicht die Absicht, etwas anderes zu sein als das Grün, das sich vom Unsichtbaren ins Sichtbare verwandelt“, lautet ein inspirierendes Zitat von Dr. Ibrahim Abouleish, das den Geist von SEKEM perfekt einfängt. 

 

 

Bereits überwältigt von den Eindrücken des Tages, krönte ein Beduinen-Dinner im Hotelgarten mit arabischer Musik den Abend. Aber das alles war nur ein kleiner Einblick in das große Ganze dieses außergewöhnlichen Gemeinschaftsmodells.

Eindrücke aus der Stickgarn- Produktion und der Textilmanufaktur NatureTex , Quelle: it fits

2. Bei der Baumwollernte mit dem „hohen Mann“

Noch vor Sonnenaufgang brachen wir gemeinsam mit Konstanze Abouleish in zwei Kleinbussen in Richtung Norden auf. Die Fahrt führt uns durch die geschäftige Stadt Al-Mansura bis ins Nildelta nach Damietta. Begleitet werden wir gleich von Polizei-Autos, die uns über die drei Stunden Fahrzeit hinweg bis direkt auf das Baumwollfeld eskortiert. Dort werden wir von den Baumwollbauern mit einem warmen Empfang begrüßt. Einer von ihnen, ein besonders groß gewachsener Mann, trägt den Spitznamen „der hohe Mann“. Mit seiner charmanten fast schon majestätischen Art gibt er uns eine kurze Einweisung ins Handpflücken der Baumwolle. Und als wäre das noch nicht genug, setzen die Farmer und Pflücker die Stimmung mit einem traditionellen Erntesong auf ein ganz neues Level. Diese „Klimahelden“ von SEKEM, die Hüter des weißen Goldes, sind stolz auf ihre Arbeit – und das zu Recht. Sie werden gesehen, geschätzt und bekommen ein faires Einkommen. Die Baumwollpflücker berichten, wie sehr sich ihre Lebensumstände verbessert haben und sie deutlich höhere Löhne erhalten. Für jedes Kilo handgepflückter Saatbaumwolle gibt es 10 bis 15 ägyptische Pfund, je nach Erntezeitpunkt. Ein geübter Pflücker kann täglich 10 bis 15 Kilo Baumwolle ernten. Tagelöhner, die auf den Feldern arbeiten, verdienen heute im Durchschnitt 150 ägyptische Pfund pro Tag (etwa 4,50 Euro) – ein Einkommen, das Konstanze Abouleish als „guten Lohn“ bezeichnet.

 

Baumwolle made in Egypt 

Ägypten ist bekannt für seine Baumwolle mit extra langer Stapellänge, doch der Anbau wird streng überwacht. Der Staat legt das Saatgut fest und bestimmt, wo welche Sorten angebaut werden dürfen. Es gibt mindestens zwei Erntedurchgänge, wobei bei der ersten Ernterunde die besseren Qualitäten gesammelt werden. Der Export von Baumwollsamen ist ebenso verboten wie der Verkauf von Rohbaumwolle, d.h. alles wird im Land verarbeitet. In den letzten Jahren beeinflusst der Klimawandel auch noch die Spielregeln: Die Aussaatzeit verschiebt sich zunehmend von Februar/März auf April/Mai, was die Bauern zusätzlich fordert.

 

Baumwollernte hautnah

Nach der Einweisung dürfen wir also selbst Hand anlegen. Doch die harte Arbeit macht uns schnell klar, wie viel Ausdauer und Fingerspitzengefühl beim Baumwolle ernten nötig sind: In zwei Stunden schaffte keiner von uns ein volles Kilo Baumwolle zu ernten. Die Baumwollfelder mit gleichzeitig leuchtend weißen Büscheln, grünen Kapseln und den gelben und roten Blüten, nebenbei der Pflückergesang sind einfach nur faszinierend. Wir sind überrascht, wie viel Mühe in jeder Faser steckt. Nach dem unsere bescheidene Ausbeute gewogen war, hatten wir nochmals Gelegenheit mit den Farmern ins Gespräch zu kommen. Beeindruckt verlassen wir das Feld – voller Respekt vor den Menschen, die unter der ägyptischen Sonne das „weiße Gold“ ernten.

Baumwollernte hautnah, Quelle: it fits

3 Greening the Desert: SEKEMs beeindruckendes Projekt in der Wahat-Oase

Die nächste Station unsere Reise führt uns rund 370 Kilometer südwestlich von Kairo in die Wahat El-Bahareyya – eine faszinierende Wüstenlandschaft, die SEKEM durch sein „Greening the Desert“-Projekt in eine fruchtbare Oase verwandelt. Nach fast sieben Stunden Fahrt, wieder einmal begleitet von einer Polizeieskorte, erreichen wir Wahat, wo SEKEM auf einer Fläche von 1.400 Hektar ein visionäres Beispiel für biologisch-dynamische Landwirtschaft in der Wüste geschaffen hat.

 

 

Kaktusfeigen & Moringabäume, Helmy Abouleish & Farmleiter Mohamed Salah, der "Schwarzwald von Wahat" und hochmoderne Bewässerungssysteme, Quelle: it fits

Kaktusfeigen und Moringa – Symbiose in der Wüste

Nach einem herzlichen Empfang durch Mohamed Salah, den Farmleiter, beginnt unsere Erkundungstour. Wir fahren zu einem Feld, auf dem Kaktusfeigen in Kombination mit Moringabäumen wachsen. Mohamed erklärt uns voller Begeisterung, wie diese Pflanzen sich gegenseitig unterstützen: Während die eine Wasser speichert, profitiert die andere davon – ein Paradebeispiel für effiziente Wassernutzung in einer extrem trockenen Umgebung.

 

Innovative Bewässerungssysteme

SEKEM setzt in der Wahat-Region auf hochmoderne Bewässerungstechnologien. Fossiles Grundwasser aus dem Nubischen Sandstein-Aquifer wird durch solarbetriebene Pumpen an die Oberfläche befördert. Statt der traditionellen Flutbewässerung nutzt SEKEM Tröpfchenbewässerung und Zentrifugalberegnung – Methoden, die mit nur 10 % der üblichen Wassermenge auskommen und so die Effizienz steigern.

 

Biologisch-dynamische Landwirtschaft in der Wüste

Auf den Feldern wachsen Heilpflanzen wie Kamille, Getreide, Gemüse, Obstbäume und Datteln. Der Boden wird durch Kompostierung, Gründüngung und natürliche Schädlingsbekämpfung regeneriert. Diese nachhaltigen Methoden helfen nicht nur der Umwelt, sondern generieren auch CO₂-Zertifikate, die SEKEM wirtschaftlich nutzen kann, um weitere Projekte voranzutreiben.

 

Ein musikalischer Abend und spannende Geschichten

Den Tag lassen wir im stimmungsvollen Amphitheater von SEKEM ausklingen. Eine bekannte lokale Band begeistert die ca. 150 Kinder mit traditionellen ägyptischen Klängen und Liedern. Anschließend lauschen wir bei einer gemütlichen Tasse Tee den spannenden Erzählungen von Helmy Abouleish, Geschäftsführer von SEKEM. Er schildert uns die abenteuerlichen Verhandlungen mit den Beduinen, die erforderlich waren, um das Land zu erwerben. „Ich musste das Land zweimal kaufen – einmal von den Beduinen und einmal vom Staat“, erzählt er augenzwinkernd. Wir lernen, was ein Pivot ist und welche Pflanzen auf diesen Parzellen angebaut werden. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht erzählt Helmy über die Geschichte von SEKEM, die besseren Verdienstmöglichkeiten, Versicherung, Krankenschutz und sein Lieblingsthema die Stellung der Frauen. Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen – wie viele Menschen haben durch das SEKEM-Projekt gutes erfahren? Antwort: Ein Lächeln und Achselzucken!

 

 

Die IVN-Gruppe nimmt am Morgenkreis teil - ein tägliches Ritual in Wahat El-Bahareyya, Quelle: it fits

Der Morgenkreis – Gemeinschaft in Aktion

Am nächsten Morgen um 7:40 Uhr nehmen wir am Morgenkreis teil – ein Ritual, bei dem alle Farmmitarbeiter zusammenkommen, um den Tag mit Wertschätzung und in Gemeinschaft zu beginnen. Mohamed Salah eröffnet den Kreis heute mit einem inspirierenden Zitat: „Das Lächeln, das dir begegnet, schenkt Freude.“ Nicht nur die Mitarbeiter reagieren darauf mit persönlichen Statements auch wir Gäste lassen uns von diesem Geschehen mitreißen. Ein humorvoller Kommentar sorgt für Gelächter, als ein Mitarbeiter anmerkt: „Chef, lächle doch mal, auch wenn Helmy weg ist!“. Im Morgenkreis werden Gedanken geteilt, gemeinsam gebetet, ja sogar für ein wenig Morgengymnastik gesorgt. Sehr berührend, diese Besonderheit mitzuerleben!

 

Der Schwarzwald von Wahat

SEKEM verfolgt eine klare Vision: Bis 2027 sollen eine Million Bäume gepflanzt werden – fast die Hälfte ist bereits geschafft. Nach einem Spaziergang durch den „Schwarzwald von Wahat“ – wie ihn Helmy mit funkelnden Augen nennt, packen wir selbst mit an und pflanzen 150 Bäume, die Teil eines Mischwalds werden. Die Bäume erreichen innerhalb von zwei Jahren eine Höhe von vier Metern. Diese Wälder schützen die Äcker vor Sandstürmen, Erosion, verbessern die Bodenqualität und binden CO₂. 

 

Diversität und Innovation auf der Farm

 

Unsere Tour führt uns weiter zum botanischen Testgarten, wo SEKEM Pflanzen wie Fenchel und Hibiskus, und viele andere Pflanzen auf ihre Eignung für das biologisch-dynamische Anbausystem in der Wüste testet. Spannend ist auch der innovative Einsatz von Basaltgestein, das gemahlen zur CO₂-Bindung genutzt wird. Zudem kauft SEKEM in großem Stil ausgediente Dattelpalmen von lokalen Farmern auf, die sonst verbrannt würden. Dieses Biomaterial wird für die Kompostproduktion verwendet – ein Win-Win für alle Beteiligten. Am höchsten Punkt der Region liegt das Wasser-Staubecken, das derzeit leer ist. Von dort genießen wir eine wunderschöne Aussicht über das gesamte Gelände. Vorbei an dem neuesten Pivot, wo gerade Kamille sprießt und sorgfältig per Tröpfchenbewässerung gepflegt wird, führt unser Weg zu Helmys brandneuem Lehmhaus. Das Haus ist innovativ und als Pilotversuch in einer Press-Lehm-Bauweise erbaut und selbstverständlich wurden auch sonst nur reinste Naturmaterialien verbaut. Die Tür des Hauses stand für uns weit offen – eine Einladung, die wir gerne annahmen, um einen Blick in dieses beeindruckende Bauwerk zu werfen und das angenehme Klima darin selbst zu spüren.

Impressionen aus Wahat El-Bahareyya, Quelle: it fits 

Bildung und Zukunft für die nächste Generation

Die Besichtigung der Schule und des Kindergartens war ein weiteres Highlight. Auch hier wurde mit der Press-Lehm-Methode gleich mehrere wunderschöne runde Schulgebäude gebaut. Aktuell werden dort 110 Kinder betreut und unterrichtet, für jede Jahrgangsstufe ein eigenes Haus. Doch es entstehen neue Gebäude, die Platz für bis zu 1.000 Kinder schaffen sollen. SEKEM organisiert zudem tägliche Busfahrten, um die Kinder aus einem weiten Umkreis zur Farm zu bringen. Beim Besuch des Englischunterrichts singen uns die Kinder ein Lied vor – ein bewegender Moment, der Helmy Abouleish sichtlich stolz macht.

 

Ein Leuchtturmprojekt für Nachhaltigkeit in ariden Regionen

 

 

Die SEKEM-Farm in der Bahariya-Oase ist ein Vorzeigeprojekt, das zeigt, wie Landwirtschaft in ariden Regionen erfolgreich betrieben werden kann. SEKEM beweist, wie ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen und wie Wüsten in blühende Landschaften verwandelt werden können. Mit Visionen wie der Einbindung von 40.000 Bauern – und langfristig sogar 150.000 – sowie ambitionierten Aufforstungsprojekten setzt SEKEM ein starkes Zeichen für die Zukunft und teilt sein Wissen mit Land und Leuten.

4 Kulturelle Schätze Kairos entdecken

Zurück in Kairo tauchten wir in ein faszinierendes Programm ein, das uns die kulturellen und historischen Highlights der Stadt näherbrachte. Auftakt war gleich am Abend ein Family Hosted Dinner in der Nähe von Maadi mit traditionellem Essen in familiärer Atmosphäre. Wir lernten das wahre Leben einer ägyptischen Mittelstandsfamilie kennen, die uns in ihre privatesten Bereiche blicken ließ.

 

Unser erster Sightseeing-Halt war das beeindruckende Grand Egyptian Museum (GEM), ein moderner Tempel der ägyptischen Geschichte, welches gerade vor zwei Wochen für Besucher geöffnet wurde. Danach ging es zu den majestätischen Pyramiden von Cheops, Chephren und Mykerinos, die uns mit ihrer zeitlosen Größe und Mystik in ihren Bann zogen. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch des berühmten Ramses Wissa Wassef Art Centers in El-Harraniya, nahe Gizeh. Ramses Wissa Wassef, ein visionärer ägyptischer Architekt, Künstler und Pädagoge, gründete dieses Zentrum, um jungen Menschen aus der Umgebung die Möglichkeit zu geben, traditionelle Webkunst zu erlernen und modern zu interpretieren. Hier entstehen einzigartige handgewebte Teppiche und Wandbehänge, die von den Schüler*innen ohne vorgegebene Muster oder Designs gefertigt werden. Inspiriert von ihrer Umwelt und Fantasie erzählen die Werke Geschichten in leuchtenden Farben und ausdrucksstarken Designs – geschaffen mit natürlichen Materialien und Farbstoffen, die im eigenen Garten wachsen. Das Zentrum ist ein bezauberndes Beispiel für die Verbindung von Kunst, Pädagogik und Handwerksförderung.

Kulturelle Highlights und Schätze der Webkunst in Kairo, Quelle: it fits

Im alten Koptischen Viertel Kairos besichtigten wir zu Fuß die beeindruckende Hängende Kirche (Al-Mu'allaqa) und die Abu-Serga-Kirche, die als eine der ältesten Kirchen Ägyptens gilt. Ein weiterer spiritueller Schatz war die nahe gelegene Ben-Esra-Synagoge, ein Zeugnis der multireligiösen Geschichte Ägyptens.

 

Zum Abschluss unternahmen wir eine Tour durch den weitläufigen Al-Azhar Park, einem grünen Paradies inmitten der Stadt. Mit Golf-Carts erkundeten wir alte Wohnhäuser, charmante Moscheen und weitere Altertümer in der Altstadt von Kairo – viele davon waren über Generationen der Öffentlichkeit verborgen geblieben.

 

 

Mit einem Abendessen auf einem Nil-Dampfer endete eine wunderbare Reise durch Kairos kulturelle, künstlerische und spirituelle Schätze – ein faszinierender Mix aus Vergangenheit und Gegenwart, der uns nachhaltig beeindruckte.

fazit

Die Wertschöpfungskette von Baumwollprodukten spielt eine entscheidende Rolle in unserer täglichen Arbeit, und diese Reise hat einen authentischen und inspirierenden Einblick in das Thema ermöglicht, der noch lange nachklingen wird. Die innovativen und nachhaltigen Praktiken von SEKEM, die Tradition mit Zukunftsvisionen verbinden, zeigten eindrucksvoll, wie nachhaltige Entwicklung das Leben der Menschen in Ägypten positiv verändert. Diese Erfahrung war nicht nur beruflich wertvoll, sondern berührte auch auf persönlicher Ebene – ein inspirierendes Erlebnis, für das dem IVN und allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön für die Organisation gilt.

 

Zu guter Letzt empfehlen wir auch ein Blick auf die SEKEM-Webseite zu werfen.