Usbekistan

Produktionsstandort im Wandel - Erfahrung aus zwei Schulungsreisen

Im GIZ-Projekt "Nachhaltigkeit und Wertschöpfungssteigerung in der Baumwollwirtschaft in Usbekistan" hat ein Expertinnen-Team von it fits Schulungen zu Nachhaltigkeitsstrategien und Zertifizierungssystemen durchführt. Mit einem Paket aus einem Train-the-Trainer-Programm, Workshops, individuellen Coachings und weiteren Komponenten begleiten wir engagierte lokale Akteure auf dem Weg zu einem nachhaltigen Textilsektor in Usbekistan.

Die Textil-Cluster in Usbekistan meinen es ernst: Sie möchten den Anforderungen des europäischen Marktes bezüglich Menschenrechte (Sorgfaltspflichten), Umwelt- und Klimaschutz gerecht werden und die bisherigen verrufenen Praktiken hinter sich lassen. Aber wie? Wer/was hilft ihnen dabei? Wo stehen wir im Moment? Wie geht es weiter?


Hintergründe zu Usbekistans Baumwollindustrie

Usbekistan gehört zu den größten Baumwollproduzenten der Welt und baut jährlich auf rund einer Million Hektar mehr als drei Millionen Tonnen an. Baumwolle ist entscheidend für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt des Landes, da sie einen großen Teil der Erwerbsbevölkerung beschäftigt und etwa 18 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt.

 

Der jahrelange extensive Anbau ist jedoch mit vielfältigen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verbunden. Dazu zählt der großflächige Anbau in Monokulturen, die Ausweitung der Betriebsgrößen, instabile Erntepreise, Zwangs- und Kinderarbeit, schlechte Bodenqualität und ein übermäßiger Wasserverbrauch in Regionen, in denen die Ressource ohnehin knapp ist. [GIZ]

 

Die Cotton Campaign, ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, rief 2011 zum Boycott von Baumwolle aus Usbekistan auf. Der wachsende internationale Druck führte dazu, dass die usbekische Regierung den Einsatz von Zwangsarbeit bei der Baumwollernte schrittweise reduzierte, die Privatisierung der Unternehmen durchsetzte  und viele weitere Maßnahmen ergriff. Damit gilt der Baumwollsektor Usbekistans als herausragendes Beispiel für den Erfolg der landesweiten Reformen, die 2016 von Präsident Mirsijojew angestoßen wurden. Tatsächlich schien die Regierung bisher aktiv gegen jene strukturellen Faktoren vorzugehen, die einst den repressiven Charakter des Baumwollsektors definiert haben. Die ILO bestätigte in einem Bericht vom März 2022 das Kinder- und Zwangsarbeit in Usbekistan besiegt sind. Die Cotton Campaign nahm schließlich im März 2022 ihren Boykottaufruf zurück, weil sie das System der systematischen staatlich auferlegten Zwangsarbeit ebenfalls als überwunden ansah. [Länder Analysen]

 

Mit dem Ende des Baumwollboykotts hat sich die Textilindustrie in Usbekistan in sehr kurzer Zeit rasant entwickelt und befindet sich ein einem starken Verwandlungsprozess.

 

Das GIZ-Projekt „Nachhaltigkeit und Wertschöpfungssteigerung in der Baumwollwirtschaft“

In Usbekistan sind derzeit zahlreiche Initiativen und Projekte in Aktion, u.a. von der GIZ, Gesamtmasche, USAID – um nur die zu nennen, mit denen wir persönlich im Austausch stehen und jeweils einen inhaltlichen Beitrag leisten. Alle Aktivitäten haben das Ziel, die angestoßenen Reformen und Ziele des Landes zu unterstützen und den Firmen den Zugang zum europäischen Markt zu öffnen. Denn Usbekistans Textilindustrie orientiert sich neu – sie möchte sich vom russischen Markt lösen und den europäischen Markt bedienen. Das setzt allerdings voraus, dass diese aufstrebende Textilindustrie seine künftigen Geschäftspartner in Punkto Menschrechte/Sorgfaltspflichten, Umwelt- und Klimaschutz überzeugen muss, was den Bisherigen nicht wichtig war. Aus diesem Grund forcieren alle Projekte und ebenso die Regierung vor allem hierfür relevante Zertifizierungen.

 

Im Auftrag des BMZ unterstützt die GIZ-Uzbekistan bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards im Baumwoll- und Textilsektor. Im Rahmen des GIZ-Projektes „Sustainability and Value Added in the Cotton Economy in Uzbekistan“ hat it fits den Auftrag, Schulungen zu Nachhaltigkeitsstrategien und Zertifizierungssystemen durchzuführen.

 

Im Rahmen des Projektes werden in ausgewählten Regionen Usbekistans verschiedene Initiativen zur Entwicklung von Basiskompetenzen durchgeführt. Mit Workshops zu verschiedenen Zertifizierungen und Schulungen fördert das Vorhaben das Exportpotenzial Usbekistans und hilft, international anerkannte Qualitäts- und Umweltstandards zu erreichen.

 

Von Dezember 2023 bis Juni 2024 hat it fits bereits zahlreiche Schulungsformate durchgeführt:

  • Train-the-Trainer-Programm zu ausgewählten Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen (GOTS, TE-Standards, OEKO-TEX Module, Amfori BSCI)
  • Stakeholder Event bei UZ Textile and Garment Industry Association
  • Workshops zu Nachhaltigkeitsstrategien und internationalen Zertifizierungen in Tashkent und Fergana
  • In den Regionen Tashkent und Fergana erfolgten Fünf individuelle Firmen-Coachings bei sog. Clustern aber auch spezialisierten Betrieben in Spinnerei/Strickerei, Färberei, Konfektion
  • Fachliche Gespräche mit Ausstellern auf der UzTextile Expo

„Mit den beiden Nachhaltigkeitsexpertinnen Carola Dieners (SYNBELLE GmbH) und Simone Seisl hatte ich ein Traumteam an meiner Seite. Mit unserer jahrzehntelangen Kompetenz und unserem positiven Spirit haben wir ein erfolgreiches Trainingsprogramm entwickelt und durchgeführt“, kommentiert Katharina Schaus (it fits – Organic Textile Partner) das erste Etappenziel. „Gemeinsam haben wir eine beispielhafte Kooperation und Wissensvermittlung realisiert und sind auf eine überaus wissbegierige Teilnehmerschaft und ein großes Netzwerk von interessierten Personen gestoßen“.

 

Unser "Schüler" und Co-Lecture Alisher Khusainov (Business and Decent Work Advisory) hat sein Erlerntes aus dem ToT und seinen persönlichen Erfahrungsschatz bei den Workshops und Firmen-Coachings ausgezeichnet zum Einsatz gebracht. Dass heißt, in kurzer Zeit wurde sehr viel Wissen und Kompetenz zu Standards und Zertifizierungsabläufen vermittelt und konnte auch sogleich nutzstiftend eingesetzt werden.

 

Dieser Wandel und die positive Entwicklung, die Wissenvermittlung im Rahmen der zahlreichen Projekte wird weitergehen und in Kürze Usbekistan zu einem in vieler Hinsicht überaus interessanten Produktions- und Beschaffungsstandort für Deutschland / Europa entwickeln. Das sollten Sie im Auge behalten.

Was hat uns am meisten beeindruckt?

  • Die zahlreichen vertikalen Textil-Cluster, die in der Lage sind, ALLE Prozessschritte vom Baumwollanbau bis zur Konfektion aus einer Hand abzudecken. Kein anderes Land dieser Erde hat vergleichbare vollstufigen Wertschöpfungsketten nicht nur im eigenen Land sondern innerhalb eines Unternehmens.
  • Die Firmengröße, Professionalität und das schnelle Wachstum dieser Cluster.
  • Auffällig hohe Investitionen in modernste Maschinen, innovative Technologien in allen Betrieben. Damit verbunden sind sehr optimierte Prozesse und höchste Verarbeitungsqualität.
  • Marktöffnung:  die spürbare Aufbruchstimmung und das damit verbundene ernsthafte Engagement zur Erfüllung der EU-Nachhaltigkeitsanforderungen.
  • Aufgeschlossenheit gegenüber ausländischen Partnern:
    die wachsenden Stakeholder-Bewegungen im Textilsektor und das unerwartet große Interesse an unserer Wissensvermittlung.
  • Die große Anzahl von wirksamen Förderprojekten aus westlichen Ländern, die sich alle untereinander vernetzen und Synergien nutzen.
  • Die offenen Gespräche zu Menschenrechten / Zwangsarbeit: die meisten Schulungs- und Workshop-Teilnehmenden befragten wir zu ihren persönlichen Erfahrungen bezüglich Zwangsarbeit – ALLE, jeder Einzelne war gezwungen zur Baumwollernte auf dem Feld zu arbeiten (vor allem Schüler und Studenten). Es gab Vorgaben, welche Menge an einem Tag zu ernten sind, was immer schwer erreichbar war. Die Betroffenen sind glücklich, dass ihre Kinder von dieser Zwangsarbeit verschont bleiben und die Ausbildung nicht mehr unterbrochen wird. Sehr ehrlich und offen wurde mit uns auch über Korruption und Living Wage gesprochen, worin im Moment noch Handlungsbedarf besteht (s.u.)
  • Liberalisierung, Privatisierung, Unternehmertum (Privatsektor), Gewerbe-/Industrieansiedlung, die Liste der beeindruckenden Entwicklungen ist lang.

 

Wo sehen wir derzeit noch Herausforderungen?

  • Missverständnisse über die Unterschiede zwischen Better Cotton und Organic Cotton, was häufig gleichgesetzt wird.
  • Noch zu geringe Umstellung auf den Bio-Baumwollanbau, da v.a. auf die Prinzipen von Better Cotton gesetzt wird und zu wenige Kenntnisse zu Standards und Zertifizierungsabläufen bekannt sind.
  • Der Glaube an EINEN universellen Standard und Zertifizierung für Baumwollanbau und textile Weiterverarbeitung. Viele waren der Überzeugung ein "GOTS oder OEKO-TEX" deckt auch die Zertifizierung Anbausysteme der Baumwolle ab – quasi die GOTS zertifizierte Baumwolle, die es nicht gibt.
  • Mangel an Repräsentanz von relevanten Zertifizierungsstellen, die die Zertifizierung für die gewünschten und erforderlichen Standardprogramme durchführen können.
  • Die Dominanz des Staates: die Regierung, die zwar die Zertifizierungen forciert und subventioniert, aber andere Steine in den Weg legt. Trotz der positiven Dynamik mangelt an der Reformumsetzung, weshalb der Staat indirekt weiterhin große administrative Kontrolle über Ernte, Distribution und Verkauf ausübt.
  • Bürokratie & Korruption: war ein ehrliches Statement all unserer Schulungsteilnehmenden zur Frage, wo sie die größten Hindernisse sehen. Zum gleichen Ergebnis kam auch eine Umfrage der Bewegung (NGO) Yuksalish, in der als weitere Bereiche für Herausforderungen Umwelt, Inflation, Bildung, Strom & Gas und Trinkwasser identifiziert wurde.
  • Einhaltung der Menschenrechte / Sorgfaltspflichten ist weiter ein Thema, dass noch nicht immer selbstverständlich ist.
  • Mit dem Thema Living Wage beschäftigen sich viele der kontaktierten Akteure und Unternehmen ungern und verhalten sich zurückhaltend. Usbekistan ist ein wenig teurer als die klassischen Billig-Lohn-Länder, aber ob ein existenzsichernder Lohn gezahlt wird, ist nicht gewährleistet, weil alle befürchten, dann nicht mehr konkurrenzfähig zu sein.
  • Weitere Schwächen und noch Handlungsbedarf besteht laut www.gtai.de/usbekistan in: Ausgeprägten Schattenwirtschaft, mangelnden Rechtssicherheit, Defizite in der Infrastruktur, Nachholbedarf im Bildungssektor.

Impressionen aus der Baumwoll- Garn und Flächenproduktion in Usbekistan, Quelle: it fits

Die nächsten Schritte

  • Am 23 Juli 2024 veranstaltet USAID in Kooperation mit GIZ Uzbekistan, Khokimiyat of Namangan Region, Uztextileprom Association einen PPD - Public Private Dialogue mit dem Titel “Enhancing Export Opportunities and Certification for Textile SMEs”. Katharina Schaus, it fits wird eine Keynot zum Thema “Sustainability Standards and Certification for Textile companies” beitragen.
    Ziel ist es, die Haupthindernisse für den Erhalt einer Zertifizierung zu verstehen und Wege zur Verbesserung des Exportzugangs zum EU-Markt zu erkunden, einschließlich der Vor- und Nachteile. Als Ergebnis des PPD in Namangan will das Team des USAID Business Support Project mindestens acht potenzielle Textil-KMU identifizieren, die eine Zertifizierung (insbesondere OEKO-TEX und GOTS) benötigen, um ihre Exportmärkte zu diversifizieren, und sie mit einer Kofinanzierung bei der Zertifizierung unterstützen.
    it fits – Organic Textile Partner mit seinem Expertenteam soll anschließend die ausgewählten Textilfirmen beim  Zertifizierungsprozess beratend begleiten.
  • Im Oktober 2024 führen wir im Rahmen des GIZ-Projekts ein weiteres Train-the-Trainer-Programm zu den ausgewählten Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen (GOTS, OEKO-TEX, TE-Standards und Amfori BSCI) für Mitarbeitende der Uztextileprom Association durch.
    Im gleichen Zeitraum wird auch wieder eine Reihe von Firmen-Coachings zu Zertifizierung in weiteren Regionen angeboten, um diesen bei der Entscheidung der geeigneten Zertifizierung zur Seite zu stehen.

 

Wir erwarten einen starken Anstieg der Zertifizierungen in der usbekischen Textilindustrie und damit eine erhöhte Nachfrage nach unserer Zertifizierungsberatung. Zurzeit besteht ein gravierender Mangel an lokalen Dienstleistern (Zertifizierungsstellen) für einige relevante Zertifizierungsprogramme. Wir werden es uns zur Aufgabe machen, diesen Mangel durch unsere Kontakte zu Standardgebern und Zertifizierungsstellen zu verbessern, damit die Zertifizierungsziele nicht daran scheitern.

 

         Katharina Schaus erläutert Chemikalienmanagement gemäß der herangezogenen Richtlinien, Quelle: it fits

Weitere interessante Fakten zum Produktionsstandort Usbekistan

Vom Baumwollexporteur zum Standort für Textil- und Bekleidungsproduktion

 

 

Heute hat Usbekistan über 7.000 Unternehmen im Textil- und Bekleidungssektor, die mehr als 400.000 Arbeitnehmer beschäftigen und Exporte von über 3 Mrd. USD im Jahr 2021. Die große Mehrheit dieser Unternehmen (über 6.000 Unternehmen) besteht aus Konfektionären, der Rest umfasst über 150 Garnhersteller, 130 Stoffhersteller, 250 Strickereien und 110 Strumpfwarenhersteller. Usbekische Baumwolle wird inzwischen praktisch vollständig im Inland verarbeitet.

 

 

 

Usbekistan ist zu einem attraktiven Investitionsziel für neue Investoren geworden. Viele internationale Unternehmen sehen die Chancen, die das Land bietet, insbesondere nach dem APS+-Status der EU und den verschiedenen regionalen Handelsabkommen, die die neue Regierung abschließen konnte.

 

Die Privatisierung der Baumwollproduktion, die Einführung des Clustermodells, die Abschaffung der Zwangsarbeit und die Öffnung der Wirtschaft haben zu erheblichen Investitionen in diesem Sektor beigetragen.

 

Dies ist auf jeden Fall eine beeindruckende Leistung und ebnet Usbekistan den Weg zu einem Global Player mit einem einzigartigen Angebot einer voll integrierten Industrie von der Faser bis zum Endprodukt, wettbewerbsfähigen Herstellungskosten, zollfreiem Zugang zu Europa und einer kurzen Vorlaufzeit.

 

Wir sind offen und interessiert an weiteren Projekten und Vorhaben in diesem sich rasant entwickelndem Land mit auffallend freundlichen, sympathischen, offenen, engagierten Menschen. Gerne unterstützen wir auch Sie mit unserer Usbekistan-Erfahrung, dem vielen gewonnenen Kontakten und unsere Expertise zu Nachhaltigkeit, Standards und Zertifizierung.

Kontaktieren Sie uns: dialog@itfits.de

 

 

Quellen und weiterführende Informationen